Sonntagsidylle – der Frühstückstisch ist reich gedeckt, die Sonne scheint, alle sind gut drauf. Bis dann der kleine Anton erklärt, ALLES BLÖD, weil die Marmelade heute nicht die richtige Farbe hat… Darauf hält groß Frieda einen Vortrag, dass klein Anton gefälligst die Klappe halten soll, weil er sonst alles andere haben kann, was dieser aber nicht einsieht… Geschrei, Gezeter. Ach, das kann so viele kleine Ursachen haben. Bis zu großen Problemen, die an den Nerven zerren.

Ich könnte hier alle möglichen x-beliebigen Beispiele aufzählen. Alle Eltern können aus dem Stand 15 Beispiele nennen, wo aus heiterem Himmel die Stimmung kippte, der Tag mit Hausarrest versaut war oder sonstige „unvernünftige“, „überflüssige“ Streitereien um „Nix“ die Harmonie zerstört haben.

Aber wie kommen wir darauf, dass Familie, dass das Leben mit Kindern immer harmonisch zu laufen hat?

Harmoniesucht

Ist es nicht so, dass wir Erwachsenen mittlerweile an chronischer Harmoniesucht leiden? Nicht anecken, nicht streiten, Frieden wahren. Mit allen klar kommen. Nicht so genau nachfragen. Gut drauf sein ist zum Lifestyle geworden. Im Beruf versteckt sich dieser Anspruch oft im Teamgedanken: Ihr müsst doch zusammenarbeiten! Nur gemeinsam sind wir stark! Du oder du bist schlecht für den Teamgeist!

Vorsicht. Manchmal opfern wir der vermeintlichen Harmonie die echte Auseinandersetzung, das echte Ringen um die beste Antwort. Harmonisch bedeutet eigentlich Zusammenklang, nicht Gleichklang. Ich meine, das macht einen entscheidenden Unterschied…

Kindern ist das wurscht. Kinder denken nicht in: Was passiert dann mit der Stimmung? Kinder fordern ihre Bedürfnisse, ihr Recht, ihre Aufmerksamkeit direkt jetzt hier sofort ein. Sie ordnen ihr Jetzt-Gefühl nicht der allgemeinen Sonntag-Morgen-Stimmung unter.

Genial! Wir streiten!

Und eigentlich ist das genial! Warum? Weil wir eigentlich froh sein können, wenn sich Kinder in ihrer Umgebung, ihrem Zuhause so sicher fühlen, dass sie offen in die Auseinandersetzung gehen. Denn so lernen sie im sicheren Rahmen das, was sie später so dringend brauchen: die Kunst der Auseinandersetzung.

Ich weiß, das ist hartes Brot. Es ist kein Spaß, jeden Tag der Prellbock für irgendwelche Entwicklungsschritte zu sein. Das ist nicht primär unsere Idee, wenn wir unser erstes kleines Baby in den Händen haben. Nein. Keiner denkt da an endlose Debatten, wer wann ins Bett zu gehen hat. Wer endlich das Spielzeug aus dem Weg räumt. Warum es jetzt keine Schokolade mehr gibt… und so weiter…

Wir Eltern wollen heute Freunde sein. Begleiter. Wir wollen auch lieb gehabt werden. Wie wollen nicht die ganze Zeit verbieten, brüllen, diskutieren. Und dann kommt die Realität und sagt: Liebe Eltern, das brauchen Eure Kinder aber. Jawoll, ihr seid auch da, um Prellbock zu sein, um streiten zu üben, um Debatten zu führen.

Kinder lernen in der aktiven Auseinandersetzung. Sie wachsen daran, sie lernen sich zu behaupten, nachzugeben, zu verhandeln. Sie lernen, was ist gut, was ist nicht so gut. Welche Reaktion erfolgt auf welche Aktion?

Gehen wir all diesen Auseinandersetzungen aus dem Weg – wo sollen die Kinder dann lernen sich zu streiten? Und mit streiten meine ich jetzt halbwegs konstruktive Auseinandersetzungen, das Aushandeln von Kompromissen, der Umgang mit Frust…

Harmonie – Zusammenklang

Harmonie bedeutet eigentlich Zusammenklang von verschiedenen Tönen. Für mich ist streiten ein Vorgang, der notwendig ist, um die verschiedenen Töne und Zwischentöne zu hören und abzugleichen. Streiten bedeutet für mich, sich auseinandersetzen mit verschiedenen Meinungen, Stimmungen, Bedürfnissen und Emotionen. Und in der Konfliktlösung finden wir einen Weg, gemeinsam diese verschiedenen Töne zum klingen zu bringen, so dass Harmonie entsteht.

Die Frage ist also eher: Sind wir gut im Streiten? Sind wir unseren Kindern ein gutes Vorbild im Streiten? Kann man Streiten von uns lernen?

Alles Liebe!